Tagblatt Online, 10. April 2010

Die Stickerei kehrt zurück

 

 

GOSSAU. Kürzlich wurde vom Ende eines Stickereibetriebes geschrieben. Doch es gibt nicht nur Schliessungen. Vor sechs Jahren hat Bernadette Wiggenhauser ein Ein-Frau-Unternehmen gegründet, aktiv unterstützt von ihrer Mutter.

josef osterwalder

Berufsmässig stickt Bernadette Wiggenauser erst seit sechs Jahren. Sie ist aber eine geborene Stickerin. Aufgewachsen in der Schönau, dem Stickerdörfchen weit draussen an der Bischofszellerstrasse. «Wenn ich am Morgen aufwachte, hörte ich das Tak, Tak, Tak, mit dem der Pantograph die grosse Stickmaschine bewegte. Wenn ich einschlief, begleitete mich der gleiche rhythmische Takt in die Welt der Träume.» Und genau so hatte es auch ihre Mutter erlebt, die als Tochter des Stickerehepaars Bachmann im gleichen Haus aufgewachsen war.

Die acht Häuser der Schönau, alle um 1910 erbaut, sind so konzipiert, dass eine Stickerfamilie hier wohnen und arbeiten konnte. Das zweistöckige Haus ist von einem Garten umgeben, die Stickmaschine steht in einem Anbau auf der Südseite des Hauses. Dieser Raum ist zwölf Meter lang, so dass eine Zehn-Yard-Maschine darin Platz findet. Das Stickerlokal ist gegen vier Meter hoch, der Boden wird durch ein starkes Fundament gestützt. Nur so konnte die acht Tonnen schwere Maschine präzis arbeiten.

Familienbetrieb

Anfänglich hat auch der Vater von Bernadette Wiggenhauser an der Maschine gearbeitet. Die Kinder sassen am Tischchen daneben und machten ihre Hausaufgaben. Waren sie fertig, ging's im Betrieb zur Hand. Schiffli mussten aufgefüllt, Spulen aufgesteckt werden. Kinder einer Stickerfamilie erfuhren früh, dass es ohne Arbeit kein Geld gibt. Als der Vater Stickermeister eines Betriebs wurde, übernahm die Mutter die Arbeit am Pantographen. Für Bernadette Wiggenhauser war das eine Schule fürs Leben.

Sticken war Arbeit, aber auch Freude. Und das Ergebnis erfüllte mit Stolz. Darum ist sie zum Sticken zurückgekehrt.

Zuerst Lehrerin

Zunächst widmete sie sich einem andern, allerdings verwandten Beruf. Sie wurde Handarbeits- und Hauswirtschaftslehrerin, unterrichtete an verschiedenen Schulen, bis sie an die Haushaltungsschule der Baldegger Schwestern im Kurhaus Oberwaid berufen wurde. Eine Aufgabe, die sie während gut 20 Jahren mit grosser Begeisterung ausübte.

Als die Schwestern die Schule schlossen, bedeutete dies für Bernadette Wiggenhauser, sich neu zu orientieren. Das war der Augenblick, ins Stickerdorf zurückzukehren.

Dann Unternehmerin

Erleichtert wurde der Entscheid, als damals gerade der Besitzer des Color Print Shops jemanden suchte, der sein Geschäft weiterführen würde. Bernadette Wiggenhauser sagte zu, zügelte den Print Shop aber in ihr Geburtshaus in der Schönau.

Dies war möglich, weil die Eltern zwei Jahre vorher beschlossen hatten, die Stickmaschine stillzulegen und verschrotten zu lassen. Jetzt war der kleine Saal frei für die Aufnahme der Druckmaschinen, mit denen Bernadette Wiggenhauser alle möglichen Motive auf T-Shirts und Sweatshirts druckte. Neben den Druckapparaten stand eine Nähmaschine, mit der sich auf Wunsch auch Stickereien anfertigen liessen.

Die Überraschung kam, als viele Kunden nicht nur Drucke wollten, sondern Stickereien vorzogen. Also entschloss sich Bernadette Wiggenhauser, eine moderne Mehrkopfmaschine anzuschaffen, mit einem Computer versehen, der die buntesten Stickereien mit höchster Präzision auf Jacken, Blusen, Hemden oder Shirts zaubert. Zudem kann er eine ganze Stofffläche reihenweise mit Abzeichen, Emblemen oder Firmenlogos besticken.

Bernadette Wiggenhauser ist überrascht, wie das Geschäft mit Stickerei zunimmt. Und vor allem wie gut die Mund-zu-Mund-Propaganda funktioniert. Es gibt Kunden, die sie nie gesehen hat, die einfach bestellen, weil sie ihre Stickereien bei einem Kollegen gesehen haben. Es kam schon vor, dass am ersten Olma-Tag ein Standbesitzer merkte, dass sein Personal kein einheitliches Outfit hatte, er sprach bei Bernadette Wiggenhauser vor und wollte so rasch wie möglich 50 Shirts mit dem Firmenlogo abholen.

Erinnerung an Pantograph

Bernadette Wiggenhauser wird unterstützt von ihrer Mutter, die sich freut, dass die Stickereitradition weitergeführt wird. Auch der verstorbene Vater hätte Freude an der Entwicklung des Betriebes. An den Fenstern hängen hauchdünne Spitzen, Erinnerungen an den eigenen Pantographen. Von diesem ist noch das Markenschild erhalten geblieben. Es hängt an der Wand: Adolph Saurer 1911. Zwei Häuser weiter steht noch ein Pantograph aus der gleichen Serie. Bei Hans Bürkler.

Auch er ist ein unabhängiger Sticker. Er steht lange schon im AHV-Alter, ist aber immer bereit, auf einen Auftrag hin seine 300 Schifflein zu füllen, die Spulen zu stecken und mit dem Pantograph-Stift der Mustervorlage zu folgen.

Im Gespräch mit Bernadette Wiggenhauser und Hans Bürkler spürt man: Das Sticken ist kein Beruf wie jeder andere, er hat seine eigene Magie, hat sie bewahrt bis heute.